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Der Arbeiterdicher Heinrich Kämpchen

6. August 2023, 15.00 Uhr

Lesung unter Tage: Der Arbeiterdichter Heinrich Kämpchen

Dr. Olaf Grohmann liest Texte von und über Heinrich Kämpchen.

 

Eintritt 6,00 Euro

 

Für die Teilnahme (Mindestalter 16 Jahre) an der Veranstaltung ist eine Anmeldung unter kontakt@der-huettenstollen.de erforderlich.

 

Der Hüttenstollen - Besucherbergwerk

und Museum Osterwald
Steigerbrink 25
31020 Salzhemmendorf/Osterwald

 

Tel. (AB) 05153-964846

 

E-Mail: kontakt@der-huettenstollen.de
Web: https://der-huettenstollen.de/

 

Kontakt :

Dr. Olaf Grohmann, Tel. 0160-95968820
Anja Reimann, Tel.  01520-3290103

 

Lesung im Hüttenstollen

Lyrik als Sozialkritik

 

Die deutschen Bergleute waren immer konservativ eingestellt. Ihr Berufsstolz und ihr Vertrauen in die Obrigkeit entstammten einer Gesellschaftsordnung, die im 19. Jahrhundert, im Zeitalter der großen Industrie, längst nicht mehr existierte. Aus Bergleuten wurden Bergarbeiter, Teil der großen Masse des Industrieproletariats, ständig bedroht von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Hunger.
Die Bergwerksbesitzer hatten sich frühzeitig organisiert, die Bergarbeiter aber zögerten lange, zu lange. Sie sandten vergeblich Petitionen an den Landesherrn und die Bergämter, bis sie schließlich doch zur Selbsthilfe schritten, mit geringem Erfolg. Bergarbeiter, die sich beschwerten, streikten oder gar der Arbeiterbewegung beitraten, wurden entlassen und auf die „Schwarze Liste“ gesetzt.
Zu denen, die sich gegen sozialen Absturz und Demütigung wehrten, gehörte Heinrich Kämpchen. Als Bergmann und Arbeiterführer im Ruhrgebiet nahm er am großen Streik von 1889 teil. Als Folge wurde er gemaßregelt, was einem Berufsverbot gleichkam.
Heinrich Kämpchen war auch Schriftsteller, Lyriker. In Hunderten von Gedichten hielt er die Gedanken, die Hoffnungen, die Not und die Kämpfe der Bergarbeiter des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts fest. Seine Texte, soziale Dokumente ersten Ranges, erschienen ab 1890 regelmäßig in der „Bergarbeiter-Zeitung“. Mehr als die Honorare, die er dafür erhielt, und eine kleine  Knappschaftsrente blieb Heinrich Kämpchen nicht zum Überleben.

Lohntag

 

Der Lohntag ist gekommen,

Die Bergarbeiterfrau,

Das Jüngste auf dem Schoße,

Hält Löhnungs-Überschau.

 

Das ist für Pacht und Steuern

Und das für Brand und Licht,

Für Brot das und Kartoffeln,

Und — weiter kommt sie nicht.

 

Die Rechnung ist zu Ende?

Die Rechnung nicht, das Geld.

Dem Weibe aus den Händen

Vor Schreck das Lohnbuch fällt.

 

Wo soll sie Fleisch hernehmen

Und Milch und Öl und Schmalz?

Fehlt doch der Groschen selber

Für eine Düte Salz.

 

Und borgen? — O wie gerne!

Doch das ist schon besorgt —

Der Händler gibt nichts weiter,

Sie hat sich ausgeborgt.

 

Was nun? Sie weiß es nimmer

In ihrer großen Not.

Der Lohntag ist gekommen —

Am liebsten wär‘ sie tot.

 

Heinrich Kämpchen, veröffentlicht in der

Bergarbeiterzeitung am 30.09.1911

Der Bergbau auf kreidezeitliche Steinkohlen, die vor etwa 140 Millionen Jahren im Gebiet des heutigen Niedersachsen entstanden, ist nur sehr bedingt mit dem Ruhrbergbau zu vergleichen. Nicht nur, dass die dortige Kohle dem Karbon entstammt und damit mehr als doppelt so alt ist wie die hiesige. Auch die Sozialstrukturen der beiden Reviere wiesen zur Zeit der großen Industrie ganz erhebliche Unterschiede auf. Ausbeutung, Wohnungsnot, Konkurrenzdruck und Armut prägten das Leben der Bergarbeiter an der Ruhr, die ihre privilegierte Stellung verloren hatten und nun dem Industrieproletariat angehörten.

Obwohl die sozialen Verhältnisse in den kleinen nordwestdeutschen Bergbaurevieren sich von denen im Ruhrgebiet unterschieden, waren den Bergleuten existenzielle Sorgen auch hier nicht fremd. Insofern erschien der Versuch interessant, eine Führung durch den Hüttenstollen mit einer Lesung von Gedichten des Bergmannes, Arbeiterführers und Dichters Heinrich Kämpchen zu verbinden – und dieser Versuch darf durchaus als Erfolg gewertet werden.

An der besonderen Führung durch den Hüttenstollen nahmen zehn angemeldete Gäste teil. Mehr als zwei Stunden dauerte die Befahrung des Besucherbergwerks und die an ganz bewusst ausgewählten Stellen unter Tage gelesenen Gedichte Kämpchens verfehlten ihre Wirkung nicht, unterstützt durch die ganz besondere Atmosphäre, welche die Enge, die spärliche Beleuchtung, der kühle Wetterzug schaffen. Ganz am Ende der Hauptstrecke luden Sitzbänke zum Ausruhen ein und heißer Kaffee half gegen das doch allmählich einsetzende Frösteln.

Als Fazit der Veranstaltung darf festgehalten werden, dass die thematische Verknüpfung der nordwestdeutschen Bergbaugeschichte mit der Sozialhistorie des Ruhrgebiets in Form einer Führung durch den Hüttenstollen nicht nur möglich, sondern durchaus interessant und spannend ist, wie die positiven Reaktionen der Gäste zeigten. Ein ähnliches Format wird sicher zukünftig immer wieder einmal zum Museumsprogramm gehören.

 

Dr. Olaf Grohmann

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Niedersächsisches Museum für Kali- und Salzbergbau
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